Das Fieber: Afrikanische Malariaforscher gegen die Überheblichkeit des Westens
Heute wird der Film “Das Fieber” von Katharina Weingartner auf ORF 2 gezeigt. Nach mehr als drei Jahren Kampf um Anerkennung für einen Film, der unkonventionelle Wege geht und Afrika sowie Afrikanerinnen ermächtigt, die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen. Im Oktober 2019 war ich bei der internationalen Premiere dieses Films in Leipzig. Das schrieb ich damals für das berliner Magazin LONAM.
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simon INOU
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Sechs Jahre lang war die Österreicherin Katharina Weingartner auf der Suche nach einer Lösung gegen diese tödliche und zahlenmäßig häufigste Krankheit der Welt. Sie interviewte hunderte von Spezialist*innen weltweit und fand die Antwort in einer kleinen ugandischen Gemeinschaft, in der Malaria zu 99 Prozent mit der Pflanze Artemisia Annua geheilt wird. Nach sechs Jahren Recherche, Dreharbeiten und Drohungen wurde die Weltpremiere ihres Films „Das Fieber“ im Rahmen des Leipziger Dok Film gefeiert. Wir waren dabei.
Es ist Freitagabend im herbstlichen Leipzig. Der Himmel weint leise und leicht. Das passende Wetter für ein Wochenende voller Indoor-Aktivitäten. Unter den vielen Möglichkeiten und Veranstaltungen, ist heute jedoch eine am sichtbarsten und reizvollsten: DOK Leipzig, das internationale Festival für Dokumentar- und Animationsfilm.
Das Festival, das jährlich seit 1955 – mit Unterbrechungen von 1957 bis 1959 – stattfindet, ist Teil des Images dieser Stadt. Riesengroße rote Plakate mit der schwarz-weißen Aufschrift „DOK Leipzig“ sind an öffentlichen Plätzen sehr gut zu sehen. Anderswo sehen wir Plakate mit dem Logo des Festivals, das seit heuer ganz neu gestaltet ist. Rote Iris, schwarze Pupille.
Die Menschenmenge im Festivalzentrum kann für jemanden, der*die DOK Leipzig zum ersten Mal besucht, ein bisschen verwirrend sein. Was ich unbedingt brauche ist der Infoschalter. Eine fast zwei Meter hohe Metallsäule informiert über die Filme des Tages. Gerade läuft der Film „Sankara is not dead“. Ich hätte ihn auch gern gesehen, jedoch bin ich für den Film „Das Fieber“ gekommen.
Im Jahre 2017 waren mehr als die Hälfte aller Malaria-Todesfälle in sieben afrikani- schen Ländern verortet.
Neben die Ankündigung von “Das Fieber“ hat das Kinopersonal mit einem roten Kugel- schreiber das Wort AUSVERKAUFT geschrieben. Ich habe jedoch Glück: Ich bin von der Regisseurin und vom Filmproduzenten Markus Wailand eingeladen worden. Ich habe das Team in den letzten sechs Jahren beraten und bin heute vor Ort, um mir die endgültige Kino- version anschauen zu können.
Nicht nur ich und die anderen Kinobesucher*innen sind gespannt, auch die Regisseurin und der Produzent selbst. Bis heute hatten sie den Film nur am Computer beziehungsweise auf kleinen Leinwänden gesehen und noch nicht in einem riesigen Kinosaal. Ich habe große Erwartungen: Vielleicht ist das der Film, den wir im 21. Jahrhundert brauchen, um Malaria noch zu unseren Lebzeiten aus Afrika zu verbannen.
Laut WHO World Malaria Report 2018 traten im Jahr 2017 weltweit ca. 219 Millionen Mala-riafälle auf. Plasmodium falciparum ist der am häufigsten vorkommende Malariaparasit in Afri- ka mit 99,7 Prozent der geschätzten Malariafälle im Jahr 2017. 92 Prozent der Fälle, circa 200 Millionen, traten in Afrika auf. Im selben Jahr gab es weltweit geschätzte 435.000 Todesfälle durch Malaria. Laut WHO waren mehr als die Hälfte (53%) aller Malaria-Todesfälle 2017 in nur sieben afrikanischen Ländern verortet: Nigeria (19%), Kongo-Kinshasa (11%), Burkina Faso (6%), Tansania (5%), Sierra Leone (4%), Kamerun (4%) und Niger (4%). Kinder unter 5 Jahren waren die am stärksten betroffene Gruppe: Im Jahr 2017 machten sie 61% (266.000) aller Malaria-Todesfälle weltweit aus. Von dieser Krankheit Betroffene müssen geheilt werden – aber wie?
Der Film beginnt. Er dauert 99 Minuten. In den ersten zwei Minuten erzählt eine Frau langsam, tief betroffen und detailliert vom Verlauf der Krankheit ihres Kindes, das innerhalb von drei Tagen an Malaria starb. Zum Schluss fügt sie hinzu: „Es wäre heute 18 Jahre jung“. Das bricht jeder*m das Herz. Ja, das ist das Gesicht der Malaria, wenn nicht rasch und effizient behandelt wird. Die Frau nimmt an einem Seminar in der Vumbula Herbal Clinic in Masaka, Uganda teil.
Leiterin dieser Klinik ist Rehema Namyalo; die zentrale Figur des Films behandelt tagtäglich u.a. an Malaria Erkrankte, die es aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht schaffen, in Krankenhäuser zu gehen, und dabei Opfer ei- nes Gesundheitssystem sind, das, wie in vielen afrikanischen Ländern, zuerst an das Geld denkt und erst danach an die Gesundheit. Die leidenschaftliche Kräuterfachfrau erzählt auch von den Möglichkeiten, mit einheimischen Kräutern Malaria aus dem Körper zu eliminieren, ohne dabei tief ins Portemonnaie greifen zu müssen.
Der Schweizer Konzern Novartis hat beinahe das Monopol auf Anti-Malaria Medikamente auf dem afrikanischen Kontinent. In ihrem Seminar erklärt Rehema Namyalo nicht nur, wie Malaria die verschiedenen Organe im Körper angreift, sondern erläutert ebenfalls, wie globale
Pharmaökonomie funktioniert und wie Afrikaner*innen diesem System zum Opfer fallen. „Malaria”, sagt sie, „können wir mit der einheimischen Pflanze Artemisia Annua vollständig heilen. Die Pharmaindustrie entnimmt der Pflanze lediglich eine Substanz, nämlich Arteminisin, und verwendet dieses, um Malaria vergeblich zu heilen.“ Im Jahre 2015 erhielt die chinesische Forscherin Youyou Tu den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung von Artemisinin, das sich in den letzten Jahren zum „Standardmedikament” bei
der Behandlung von Malaria entwickelt hat. In Uganda wie in vielen afrikanischen Ländern
ist Coartem, ein aus dem Wirkstoff Artemisinin entwickeltes Medikament, das „Vorzeigemedi-
kament“ gegen Malaria. Eingeführt wurde es im Jahre 1999 vom Schweizer Pharmaunternehmen Novartis. Seit 2008 jedoch machen weltweit Resistenzen die Behandlung damit problematisch. Trotzdem wird das Medikament weiter in Afrika verwendet. Laut dem Novartis Geschäftsbericht 2017 arbeitet das Unternehmen an neuen Behandlungen der Krankheit Malaria, die laut dem Unternehmen „die Hälfte der Welt bedroht und eine große Herausforderung für die öffentliche Gesundheit“ darstellt. Im Jahre 2001 hatte die WHO Novartis das Recht gewährt, Coartem in ganz Afrika zum Selbstkostenpreis zu vertreiben. „Die ugandische Regierung profitiere steuerlich von der Einführung von Coartem, weswegen die Unterstützung der Artemisia Kräuter nicht gern gesehen und bekämpft wird“, sagt die ausgebildete Kräuterfachfrau Rehema Namyalo.
Für die WHO, Pharmaunternehmen und Gesundheitsministerien afrikanischer Staaten ist die Bekämpfung von Malaria ein sehr großes Business. An Malaria erkranken in Afrika jährlich über 200 Millionen Erwachsene, die behandelt werden müssen. Laut WHO stirbt in Afrika jede Minute ein Kind an Malaria; schätzungsweise sind neun von zehn Malaria Toten minderjährig. Die staatliche Behandlung kostet zwischen drei und fünf Dollar. Für viele Afrikaner*innen ist jedoch auch diese scheinbar geringe Summe noch zu hoch. Globale Konzerne übernehmen die Forschung, die Entwicklung sowie den Vertrieb der Medikamente und Moskitonetze in ganz Afrika. Dies wird u.a. durch die Bill und Melinda Gates Foundation sowie den US Global Fund in Milliardenhöhe finanziert.
Moskitonetze für ganz Afrika
In der Malaria-Bekämpfung spielen auch die imprägnierten Moskitonetze eine zentrale Rolle. In Arusha, Tansania, besuchte Katharina Weingartner die A-Z Textilfabrik. Hier produziert der japanische Chemiekonzern Sumitomo Moskitonetze für ganz Afrika. Im Film sehen wir, wie erstickend diese Arbeit ist. Hier tragen Arbeiterinnen Atemschutzmasken. Moskito- netze werden mit der chemischen Substanz Pyrethroid imprägniert, die gesundheitliche Probleme bei Fabrikarbeiterinnen genauso wie bei Verwender*innen von Moskitonetzen
verursachen können. Jährlich kaufen Organisationen wie die „Bill und Melinda Gates Stiftung“ und der U.S. Global Fund diese Moskitonetze für 200 Millionen Dollar und spenden sie in ganz Afrika. Was diesbezüglich verschwiegen wird, ist, dass Moskitos bereits eine Resistenz gegen das Insektizid entwickelt haben, mit dem die Netze imprägniert sind. Dennoch werden sie weiterhin produziert und gespendet. Spenden schaffen Abhängigkeiten und Unterwürfigkeit.
Afrikanische Forscher gegen die Überheblichkeit des Westens
Ein trauriges Bild dieser Unterwürfigkeit zeichnet die österreichische Regisseurin anhand der Arbeit von zwei erstklassigen afrikanischen Wissenschaftlern, die von ihren im Norden an-
sässigen Kolleginnen nicht ernst genommen werden. Der erste ist Dr. Richard Mukabana, In- sektenforscher an der Universität von Nairobi in Kenia. „Wir afrikanische Wissenschaftlerinnen sind fast wie Feldarbeiter*innen. Ich sammle Daten, die ich jemandem im Westen gebe, und sie machen daraus einen Sinn. Selbst das Feedback kommt nicht nach Afrika zurück. Wir machen keine Wissenschaft, wir tragen nur das Gepäck. Das ist es.“ Im Film zeigt der Forscher einige abgelehnte Projekte. Ein Projekt trägt den Titel „African solutions for African problems“, das die Gates Foundation z.B. abgelehnt hat. Da Malaria ein Milliardengeschäft ist, fasst Dr. Mukabana die Situation zusammen: „Der *die Geldgeberinnen und Geldverdienerinnen ist nicht jemand, das Problem in der Hand hat.“ Er präzisiert seine Gedanken wie folgt: „Die Person, die das Problem hat, soll die erste sein, die eine Lösung dafür finden sollte“. Hier geht es um ein klares Statement, was ich wie folgt interpretiere: „Bitte lassen Sie uns forschen und das Endprodukt nach außen tragen, auch wenn wir unsere Forschungen mit Ihrem Geld machen. Wann werden wir endlich als gleichwertige Wissenschaftlerinnen respektiert?”
Auch der Pharmakologe Dr. Patrick Ogwang aus Uganda erzählt im Film von seinen Forschungserfahrungen mit Artemisia Annua. „Mein Team und ich haben Untersuchungen in Wagagai flowerfarm sowie in zwei anderen Gesundheitszentren nach der Methode der ran- domisierten kontrollierten Studie geführt, die in der medizinischen Forschung die nachgewie- sen beste Methode ist. Wir fanden heraus, dass Artemisia Annua Malaria aus einer Gesellschaft ausrottet.“ Er sieht die Pharmakonzerne als das Haupthindernis. „Als ich mit dieser Studie be- gann, wurde ich von vielen Menschen gewarnt, dass ich von denen getötet werden könnte, die von den Anti-Malariamedikamenten profitieren. Ich hatte keine Angst und habe trotzdem die Studie durchgeführt.”
Zwei Reihen hinter mir im Kino sitzt Dr. Jerôme Munyangi. Der Malariaforscher aus der DR Kongo weiß, wovon Dr. Ogwang spricht. Er kam im Jahre 2016, nachdem er erfolgreich Ergebnisse zur Malariaforschung mit Artemisia Annua und Artemisia Afra erzielte, ins Visier von Medikamentenschmugglerinnen und Pharmakonzernen. Er wurde vergiftet, ins Gefängnis gesteckt und musste mit der Unterstützung von Freundinnen aus seiner Heimat über die zentralafrikanische Republik nach Paris flüchten, wo er derzeit lebt (siehe Interview, pdf).
Im Film erzählt die Regisseurin von Malaria auch aus einer klassisch afrikanischen Perspektive. Sie kehrt zurück zum Ursprung dieser Krankheit und hinterfragt die Einmischung von globalen Konzernen, die es trotz allem nicht schaffen, Malaria endgültig aus Afrika zu verbannen. Was haben wir mit dem alten tradierten und erfolgreichen afrikanischen Wissen diesbezüglich gemacht? Vor Ort begleitet sie die Arbeit des Prometra Institute for traditional medicine. Die Lehrenden veranstalten Workshops, geben dieses tradierte Wissen weiter, und das Institut kooperiert auch mit der Ugandischen Regierung. Das ist ein Beispiel wie sich meiner Meinung nach Afrika aus den Krallen der Pharmaindustrie befreien kann, wenn es um Krankheiten wie Malaria geht. Nur Afrikaner*innen selbst können diesen Weg gehen. Genau das wird auch am Ende des Films dargestellt.
Rehema Namyalo verabschiedet sich von ihrer Mutter und ihren Kindern. Ein Bodaboda – ein Fahrradtaxi beziehungsweise Motorradtaxi in Ostafrika – voller frisch geernteter Artemisia
Pflanzen wartet auf sie. Sie hat fast keinen Platz, sitzt gequetscht zwischen Fahrer und Pflanzen. Sie werden während der Fahrt zuerst von hinten und dann von vorne gefilmt; wie beide vom Dorf in die Stadt fahren, in der sie wohnt. An einer Kreuzung trennen sich ihre Wege, aber die Kamera bleibt in Bewegung und filmt die Weiterreise der Frau und ihrer Kräuter. Für mich bedeutet es, dass wir ab hier ebenfalls getrennte Wegen gehen. Wir Filmemacher*innen haben euch begleitet, aber die Zukunft eurer Gesundheit liegt in euren Händen selbst. Wir schaffen Platz für euch, da ihr die Betroffenen seid, ihr müsst aber die Sache selbst in die Hand nehmen. Katharina Weingartner hat meiner Meinung nach gesehen, worum es tatsächlich geht. Im Film geht es nicht darum, wer gegen wen ist oder darum, Pro oder Contra-Positionen zu präsentieren. Vielmehr geht es um ein klares Statement: Was sagen Afrikanerinnen, und was machen sie gegen diese tödliche Krankheit? Was können große Pharmakonzerne ebenfalls daraus lernen? Katharina Weingartner geht einen nicht üblichen Weg, aber einen respektvollen. Zum Abschluss des Abends zeigte die Regisseurin dem Publikum noch den wahren Star: die Artemisia-Pflanze.