Andy Africa. Ein Roman von Stephan Buoro aus Nigeria
Lisa Ndokwu
„Kafka war Afrikaner.“ Diese gewagte These kommt Andy schnell über die Lippen. Er findet auch schlüssige Argumente, um die Missstände in Nigeria mit der „Verwandlung“ von Kafka zu vergleichen. In der Sprache eines fünfzehnjährigen Superhelden werden Unruhen, Demonstrationen und religiöse Konflikte im Norden Nigerias zu einer Wahrheit, die Kafka bereits vor hundert Jahren niedergeschrieben hat.
Tabus und Geheimnisse
Stephan Buoro hat ein beachtliches literarisches Debüt vorgelegt. Die Gefühlswelt des Protagonisten Andy spiegelt die gesellschaftspolitischen Verhältnisse Nigerias. Stilistisch orientiert sich der Autor am Rap. Ein rasant geschriebenes Epos über Begehren und Verrat, bedingungslose Freundschaft, religiöse Tabus, mathematische Rätsel und noch einige Dinge mehr, die sich niemand erklären kann. Andys Mutter versteckt sich und ihr Kind in Nordnigeria. Sie ist Fotografin und als solche das Gedächtnis von all den Menschen, die sich fotografieren lassen. Ihre eigenen Erinnerungen an ihre Familie in Südnigeria bleiben im Verborgenen. Gloria Aziza hat viele Geheimnisse. Sie schweigt beharrlich, während ihr Sohn sich um Kopf und Kragen träumt und redet.
Ein Gedicht und sein Preis
Sein heimliches Begehren gilt Blondinen. In seinem Alltag bewegt er sich zwischen der Schule, seinem Zuhause, seinen besten Freunden. Die Jugendlichen verbindet ihre Kreativität und die Sehnsucht nach Europa. Andys Gedichte werden preisgekrönt. Eine seiner Lehrerinnen erkennt seine Begabungen. Sie ist es, die ihm den Spitznamen „Andy Africa“ gibt. Wie man eine inverse Permutation löst, lernt Andy, als die blonde Nichte des irischen Pfarrers zu Besuch kommt.
Zwischen Rap und Kirchenchor
Der Autor ist nicht umsonst Mathematiker. Mit großer Präzision navigiert er seine Figuren durch die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz. Seine sprachliche Eloquenz und sein optimistischer Held verleihen dem Roman bei aller Tragik eine Leichtigkeit und einen melancholischen Charme. Perfide Wendungen, aber auch berechenbare Ereignisse treiben die Handlung voran. Die blonde Nichte hat ein Faible für Gedichte. Dass sie Atheistin ist, beunruhigt den gläubigen Andy für einen kurzen Moment. Die Hoffnung auf ein Happy End wird enttäuscht. Rap ist ja schließlich kein Kirchenchor.
Kafka – vermutlich Afrikaner
Andy Africa ist der erste schwarze Superheld, der es mit Spider-Man aufnehmen kann. Am Ende findet er sogar heraus, wer sein Vater ist. Er läuft um sein Leben, dichtet sich in das Universum und erträumt sich die Verwandlung seiner Welt. Das wiederum kann Erinnerungen an Kafka wecken, der – wenn man Andy Glauben schenken darf – Afrikaner war.
Stephan Buoro, Andy Africa. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Hamburg, 2023. ISBN 978-3-498-00261-9