BLACK PEOPLE IN AUSTRIA

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Betrug. Ein Roman von Zadie Smith 

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Eine Rezension von Lisa Ndokwu

Die Bibliothek des Schriftstellers William Ainsworth liegt im ersten Stock eines bescheidenen Häuschens außerhalb von London. Ein Teil des Bodens ist eingestürzt. Der herbeigerufene Handwerker findet schnell eine Erklärung. Diese ganze Literatur habe zu viel Gewicht.

Im ersten Kapitel von „Betrug“ versammelt Zadie Smith ihre Schlüsselfiguren in diesem Raum, in dem ein Loch klafft. Eliza Touchet, die Haushälterin und Cousine des Schriftstellers sinniert über diesem Abgrund über den Abstieg der Familie Ainsworth. Die Lesenden erfahren viel über die Speisen und Gewohnheiten von betuchten Familien, den Umgang mit Geld, und dem Verheimlichen von Zahlungsunfähigkeit. Ob der Handwerker sein Geld bekommen hat, bleibt offen. Die Vortäuschung von pekuniären Möglichkeiten ist so alt wie das Geld.

Gespräche über das Gewicht von Literatur

Das ausgehende 19. Jahrhundert Großbritanniens bildet den historischen Rahmen für die großen Themen der Weltliteratur. Die Liebe, der Tod, Armut und Reichtum, Lüge und Wahrheit werden in unterschiedlichen Gestalten und Räumen verhandelt. Parallelen in die Gegenwart flammen immer wieder auf. Tatsachen und Fiktion werden von der Autorin geschickt verflochten, entfremdet und minutiös beschrieben.

Damals hatte man noch Zeit. Endlose literarische Diskussionen zwischen Schriftstellern, die sich im Salon der Familie Ainsworth treffen, sind ein gesellschaftliches Ereignis. Damit diese Gespräche ein wenig vielstimmiger werden, hat Zadie Smith kurzerhand Mrs. Touchet in diese Zirkel hineingeschrieben. Sie ist belesen und am Ende beginnt auch sie zu schreiben. Aber bis dahin folgen wir Eliza Touchet auf vielen unkonventionellen Wegen, die Zadie Smith mit ihrer Phantasie, ihrem Wissen um Macht und Ohnmacht und nicht zuletzt ihrem Witz schmückt.

Roger Tishborne – HOCHSTAPLER?

Im Jahr 1866 taucht in London ein Mann auf, der behauptet der seit zwanzig Jahren vermisste Roger Tishborne zu sein. Die Erben der Familie Tishborne sind „not amused“. Lediglich die betagte Mutter Tishborne meint ihren Sohn zu erkennen. Nach ihrem Tod zweifeln die Erben die Identität des „verlorenen“ Sohnes an. Die endgültige Klärung der Herkunft des vermeintlichen Roger Tishborne wird vor Gericht verhandelt. Es geht um viel Geld. Es gibt in London niemanden, der nicht eine Meinung zu diesem Fall hat. Es entsteht sogar eine beachtliche Bewegung, die den vermeintlichen Roger Tishborne unterstützt. Ein Großteil der Spender und Unterstützerinnen ist nicht privilegiert. Dennoch sind sie bereit für einen zukünftigen Millionenerben Kopf und Kragen zu riskieren. Auch die zweite Ehefrau von William Ainsworth ist eine glühende Anhängerin von Roger Tishborne. Mrs. Touchet begleitet sie zu den öffentlichen Gerichtsverhandlungen.

Die pulsierende Menge, der „Millionär“, Verschwörungstheorien, inszenierte Auftritte und nicht zuletzt versuchter Betrug lassen viel Spielraum für den Wechsel in unser Jahrhundert. Wenn kolportiert wird, dass Zadie Smith keinen historischen Roman schreiben wollte, kann das stimmen. Muss es aber nicht. Der Zweifel kann den Blickwinkel beachtlich verändern. Mrs. Touchet zweifelt, doch ihr Interesse für einen Zeugen, Andrew Bogle, überwiegt. Dieser Mann aus Jamaica, vormals Diener von Roger Tishborne auf einer Zuckerrohrplantage auf Jamaica, übt nicht nur eine Faszination auf Mrs. Touchet aus. Hier ist es wieder, das Augenzwinkern von Zadie Smith. Schwarze im viktorianischen London erregen Aufsehen. Der „Fremde“ polarisiert, damals wie heute.

Wir begegnen Mrs. Touchet und Mr. Bogle am letzten Verhandlungstag. Nach dem Urteil spricht sie ihn an und lädt ihn zum Essen ein. Zadie Smith schreibt die Speisekarte mit Bedacht – Schweinskoteletts. Der vermeintliche Mr. Tishborne wird währenddessen als Arthur Orton, von Beruf Metzger, in ein Gefängnis gebracht.

Die Hoffnung des Andrew Bogle

Hier beginnt ein neuer Roman im Roman. Mit der Geschichte von Andrew Bogle erzählt die Autorin die Geschichte der Sklaverei, des kolonialen Reichtums und vor allem des Rassismus. Diese Geschichte erstreckt sich über vier Kontinente und mehrere Generationen. Wenn Andrew Bogle und Madame Touchet die Gaststätte verlassen, gehen sie in ihre jeweiligen Räume zurück. Madame in das desolate Haus des erfolglosen Schriftstellers William Ainsworth. Andrew Bogle geht in sein gemietetes Zimmer, das er mit seinem Sohn bewohnt. Bei ihrer nächsten Begegnung wird Madame Touchet in diesem kleinen Zimmer stehen und von einer politischen Versammlung erzählen. Sie wird nach Tee fragen, doch es gibt keinen Tee bei den Bogles.

Weihnachtsgeschichten – damals und heute

adie Smith erzählt opulent und aussparend zugleich. Die verschachtelten Erzählstränge korrelieren mit der fragilen vielschichtigen Wirklichkeit. Von allen Personen, die an dem einen oder anderen Ende des Romans hinter einer Tür hervorlugen oder an einem Tisch bei Tee oder Spirituosen sitzen, soll Charles Dickens noch erwähnt werden. Er war ein Zeitgenosse von William Ainsworth und dann und wann sind sich die beiden begegnet. Es soll ein Band der Weihnachtsgeschichte existieren, der Mrs. Touchet gewidmet ist. Apropos Weihnachten: „Betrug“ ist eine wunderbare Weihnachtsgeschichte, zeitgemäß und amüsant.

Betrug. Roman von Zadie Smith.
Aus dem Englischen von Tanja Handels. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2023

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