Liebe Mama Felicia Omofuma …
Ein Brief an die Mutter des vor zehn Jahren unter Amtsgewalt verstorbenen Marcus Omofuma – im Stil eines bekannten Kolumnisten. Erschienen damals in Der Standard Online.
Vor zehn Jahren erstickte der 26-Jährige Marcus Omofuma während seiner Abschiebung nach Sofia. Österreichische PolizeibeamtInnen hatten ihm mit Klebebändern den Brustkorb eingeschnürt und Mund und Nase verklebt. Die drei Polizisten wurden wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten bedingt verurteilt, ihre vorübergehende Suspendierung noch vor dem Gerichtsprozess aufgehoben. Simon Inou* erinnert sich an die Ereignisse des Jahres 1999 – und berichtet Marcus Omofumas Mutter in einem Brief, wie er die Jahre seither erlebt hat.
Liebe Mama Felicia Omofuma,
das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben, war am 25. Juni 1999 in Wien. Du bist auf Einladung der österreichischen Bundesregierung nach Österreich gekommen, gemeinsam mit Marcus’ Bruder, Pius Omofuma, und seinem Schwager Anthony Esene. Du solltest die Leiche deines Sohnes identifizieren. Ich erinnere mich, dass der damalige Innenminister Karl Schlögl euch zwang, am Flughafen Wien-Schwechat einen DNA-Test zu machen.
Am 1. Mai 2009 jährt sich der Tod deines lieben Marcus zum zehnten Mal. Was damals das ganze Land erschütterte, bleibt heute eine Affäre von NGOs und manchen Medien.
Jedes Jahr haben wir Gedenken an Marcus Omufumas Tod organisiert. Die Bildhauerin Ulrike Truger schuf auf eigene Kosten einen Gedenkstein für Omofuma. Die drei Meter hohe und fünf Tonnen schwere Granitskulptur bekam vor dem Museumsquartier an der Mariahilfer Straße einen Platz. Oft wird er von Neonazis rassistisch geschändet. Ohne, dass die Stadt Wien sich verpflichtet fühlt, die Graffitis zu entfernen. Nur die Grüne Alternative Jugend setzt sich ein, damit dieser Stein ungeschändet bleibt.
Wie vor zehn Jahren
Am 1. Mai 2009 um 14 Uhr werden wir uns bei diesem Stein treffen und an einer großen Kundgebung mit anschließender Demonstration teilnehmen. Viele der Teilnehmenden waren schon vor zehn Jahren bei der Protestaktion “Gerechtigkeit für Marcus Omofuma” dabei. Du weißt, was ich meine: Mehrere von uns und auch viele Weiße sind damals, am Samstag, 8. Mai 1999, gegangen, um gegen Polizeiterror gegenüber Schwarzen zu demonstrieren. Das war das erste Mal, dass so viele Selbstorganisationen von Schwarzen in Österreich auf die Straße gingen. Du kannst dir nicht vorstellen, was die Antwort der Polizei war. Sie nutzte Demonstrationsfotos, um uns zu kriminalisieren.
Brutal
Während Marcus’ Tod noch in aller Munde war und die Arbeit der Polizei in einem schlechten Licht stand, versuchte diese, in der “Operation Spring” viele in Österreich lebende Afrikaner zu kriminalisieren. Am 27. Mai 1999 war es so weit. 850 Polizisten im ganzen Land gegen eine Minderheit Afrikaner Schwarzer Hautfarbe. Mit ungeheurer Brutalität stürmten sie Wohnungen angeblicher “Drogendealer”. 127 Afrikaner wurden festgenommen, ein Drittel musste nach kurzer Zeit wieder freigelassen werden. Es kam zu einem der größten Justizverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Die größte Tageszeitung des Landes, die “Neue Kronen Zeitung”, spielte dabei eine große Rolle. Ich erinnere dich, Mama, dass diese Zeitung am 5. Mai 1999 ein Porträt Marcus’ auf der Titelseite brachte – mit der Überschrift “So tobte der Schubhäftling”.
Am 11. Februar dieses Jahres wurde Mike Brennan, ein afroamerikanischer Sportlehrer der Vienna International School, von Polizisten schwer misshandelt. In Kritik geraten, brauchte die Polizei einen medialen Ausweg. Sie verkündete, mit der “Operation Leupold” einen “internationalen Drogenring ausgehoben zu haben – “mit hauptsächlich nigerianischen Tätern”. Wie vor zehn Jahren. Politiker der zwei größten Parteien, SPÖ und ÖVP blieben stumm. Das sind übrigens die Parteien, die vor zehn Jahren an der Macht waren.
Ich würde sagen, dass seit dem Tod Omofumas im Jahre 1999 jede Regierung den Tod eines Schwarzen auf dem Gewissen hat: Richard Ibekwe aus Nigeria (4. Mai 2000), Seibane Wague aus Mauretanien (15. Mai 2003), Edwin Ndupu aus Nigeria (19. August 2004), Yankuba Ceesay aus Gambia (4. Oktober 2005).
Kosmetik
Weißt du, Mama Felicia, die Polizei selbst hat wenig unternommen, um wirklich diesen Rassismus in ihrem Inneren strukturell zu bekämpfen. Sie hat kosmetische Projekte wie “Polizei und Afrikaner” in die Wege geleitet – schön, aber nicht sehr effizient. Es gibt sogar einen Menschenrechts-Koordinator. Er tut seine Arbeit gut, kann aber leider diese Struktur nicht verändern. Vor kurzem bemerkte Amnesty International, dass es “struktureller Rassismus innerhalb der österreichischen Polizei gibt“.
Du wirst dich fragen, warum wir in diesem Land trotzdem weiterleben. Vielleicht wären wir in deinen Augen Sadomasochisten. Aber dieses Land verändert sich. Die Zivilgesellschaft stärkt uns den Rücken. Viele Journalisten lernen uns kennen und berichten objektiver als vor zehn Jahren. Viele Österreicher haben zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes eine Abgeordnete mit Migrationshintergrund, Alev Korun, ins Parlament gewählt. Das sind kleine Schritte, die entscheidend sind. Im Denken der Politiker ist es jetzt klar geworden. Österreich ist ein Zuwanderungsland.
Leuchtturm
Ich hoffe, unsere Kinder werden in 30 bis 50 Jahren nicht mehr aufgrund ihres Aussehens verurteilt. Liebe Mama. Ich war heute sehr lang. Ich hoffe, ich konnte zusammenfassen, was nach dem Tod deines Sohnes passiert ist. Schöne Grüße an die ganze Familie. Omofuma wirkt und wird immer wirken. Er ist für viele Menschen in diesem Land ein Leuchtturm geworden.
*simon INOU ist Herausgeber von blackaustria.info