BLACK PEOPLE IN AUSTRIA

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Restitution: Für eine neue Definition von der Afro-Österreichischen Beziehungen

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Gebt uns unsere Erinnerung zurück 

Die Restitutionsdebatte oder die Chance einer differenzierten Beziehung zwischen Österreich und Ländern des afrikanischen Kontinents. Seit beinahe 60 Jahren verlangen Afrikaner*innen ihre Kunst zurück, die von europäischen Kolonialmächten gewalttätig geraubt wurde. Mit wenig Erfolg. Seit Emmanuel Macron dieses Problem in seine Agenda aufgenommen hat, passiert Vieles. Nur in Österreich nicht.

von simon INOU & Daniel BITOUH 

“Das erste Heilmittel ist die Kultur.  In diesem Bereich kann ich nicht akzeptieren, dass ein großer Teil des kulturellen Erbes mehrerer afrikanischer Länder in Frankreich aufbewahrt wird. Dafür gibt es zwar historische Erklärungen, aber keine gültige, dauerhafte und bedingungslose Rechtfertigung. Das afrikanische Erbe kann nicht nur in privaten Sammlungen und in europäischen Museen aufbewahrt werden. Das afrikanische Erbe muss in Paris, aber auch in Dakar, Lagos und Cotonou gezeigt werden; dies wird eine meiner Prioritäten sein. Ich möchte, dass innerhalb von fünf Jahren die Voraussetzungen für eine vorübergehende oder dauerhafte Rückkehr des afrikanischen Erbes nach Afrika geschaffen werden.” 

So sprach der französische Präsident in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, am 28. November 2017 bei einem Staatsbesuch.  Dieser Teil seiner Rede schlug wie eine Bombe in U.S. Amerikanischen sowie europäische Museen-Kreise. Jahrelang waren und sind afrikanische Raubkünste  als Einnahmequelle vieler Museen gewesen, ohne dass betroffene afrikanische Länder davon profitieren. Der Einwand könnte zwar sein, dass dadurch afrikanische Gesellschaften Sichtbarkeit erfahren, aber welche Sichtbarkeit bzw. was für eine Sichtbarkeit? Wer macht sich überhaupt hier sichtbar? Das Museum? Die Kurator*in? Die Museumdirektor*in? Wer stellt wen aus? Wie? Warum? Wozu? Inwieweit? Diese Befragung kann ad infinitum fortgeführt werden. Macron spricht Klartext: Das afrikanische Kulturerbe darf nicht in europäischen Museen in Geiselhaft genommen werden. Diese Rede von Macron, in einem überfüllten Amphitheater der Joseph Ki-Zerbo-Universität, hat eine schlagartige Wende in die  Restitutionsproblematik eingeführt.

Im jahre 1965, also vor 57 Jahren reklamierten Afrikaner*innen ihre Kunst zurück. In Dakar, der Hauptstadt von Senegal, erschien in der Illustrierten Monatszeitschrift Bingo der Leitartikel des Herausgebers Paulin Joachim mit dem Titel “Gebt uns unsere Kunst zurück”. In einer Kampfansage sah er die Restitutionsfrage als eine Schlacht, die an allen Frontan Europas geführt werden sollte. Die Diskussion dauerte lange, bis das Thema international Aufmerksamkeit bekam. Am 4. Oktober 1973 hielt Mobutu Sese Seko, ehemaliger Präsident von Zaire – heute Demokratische Republik Kongo – bei der UNO, die allererste Rede, wo es darum ging, ausgebeutete Kunst aus Afrika zu restituieren. Hier einen Auszug: “Während der Kolonialzeit litten wir nicht nur unter dem Kolonialismus, der Sklaverei und der wirtschaftlichen Ausbeutung, sondern auch und vor allem unter der barbarischen, systematischen Plünderung aller unserer Kunstwerke. (…) Die Kunstwerke, die in den Museen der reichen Länder zu finden sind, sind nicht unsere Primärgüter, sondern die Fertigprodukte unserer Vorfahren. Diese Werke, die umsonst erworben wurden, sind so sehr im Wert gestiegen, dass keines unserer Länder über die materiellen Mittel verfügt, sie zurückzuholen. (…) . Deshalb möchte ich auch diese Generalversammlung bitten, eine Resolution zu verabschieden, in der die reichen Mächte, die im Besitz von Kunstwerken der armen Länder sind, einige von ihnen zurückzugeben, damit wir unseren Kindern und Enkelkindern die Geschichte unserer Länder vermitteln können.”1 Mobutu hatte vor 49 Jahren recht.

Der französische Präsident wollte 2017 Fakten haben. So  beauftragte er Benedicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und College de France sowie Felwine Sarr, damals Wirtschaftswissenschaftler an der senegalesischen Gaston Berger Universität von Saint Louis in Senegal einen Bericht zum Zustand von afrikanischen Raubkunst in Europäischen nationalen Museen zu verfassen. 

Sechs Monate später erschien ein 240-seitiger Bericht und setzte die westliche Museumswelt in Furore: Beide konstatierten, dass Tausende von afrikanischen Artefakten sich  in Europäischen Museen befanden. Nicht nur Artefakte, sondern auch menschliche Überreste. Auch eine tragische Bemerkung machte beider Hochschullehrer: Während staatliche europäische Museen 431.000 geraubte Objekte besessen haben, waren afrikanische Nationalmuseen mit einer lächerlichen 3000 Objekte da. 

Aus dieser Studie wissen wir, dass staatlichen Museen wie das British Museum 69.000 Objekte illegal besitzen, das Musée Royal d´Afrique Centrale Tervuren in Belgien 180.000, das Humboldt Forum in Berlin 75.000, Museum von Quai Branly in Frankreich 70.000 und das Wiener Weltmuseum 37.000. Objekte. Uns fehlen die Daten von privaten Sammlern geraubter Kunst aus Afrika. Das wäre der nächste Schritt zu unternehmen. Was wir in der Diskussion vermissen sind auch Teile der Ägyptischen Sammlung, da Ägypte auch zu Afrika gehört. 

In den letzten fünf Jahren haben alle oben genannten Länder begonnen, geraubte afrikanische Artefakte zu restituieren. Auch wenn diese Restitution nicht annähernd gleich ist, was die betroffenen Länder haben wollen. Auf nationaler Ebene haben die Staaten auch begonnen, ihre Beziehungen zu den ansässigen Diaspora neu zu definieren. In Österreich hat die Restitution Diskussion ihren Höhepunkt erreicht, nachdem die Neos-Politikerin Henrike Brandstötter im Dezember 2019 eine parlamentarische Anfrage an das Kulturministerium gerichtet hat und eine Rückmeldung erhalten hat: 46.500 Objekte afrikanischer Provenienz sind in den heimischen Bundesmuseen. 

Österreich stilisiert sich immer als ein Land ohne koloniale Vergangenheit. Die koloniale Bewegung war aber ein gesamteuropäisches Unternehmen. Noch eine Konstante des Kolonialismus hatte sich herausgeschält: Es war zu einem gesamteuropäischen Unternehmen geworden; es profitierten keineswegs ausschließlich oder auch nur vorrangig die direkt Kolonisierten.”, so Ronald Daus in seinem Buch “Die Erfindung des Kolonialismus, S. 90. Die Agenten jener Seehandelsgesellschaft, unter deren Dienst die Figur Captain Marlow (im Joseph Conrads Roman Heart of Darkness) stand, kamen aus unterschiedlichen Ländern und Regionen Europas. “[I]t was a continental concern that drading society.” (Joseph Conrads Roman Heart of Darkness, S. 8). Bei der Restitutionsfrage geht es um die Komplexität, die mit dieser Frage verbunden ist. Und es geht im Sarr-Savoy Bericht übrigens nicht um die Frage ob Restitution gut oder Schlecht ist, sondern vielmehr differenzierter um die Frage nach dem, wie. Wie ist dies zu bewerkstelligen, wie wird es vollzogen. Angesicht der Last der Geschichte heißt die bloße Tatsache, ein “objekt” zurückzugeben, dass man/frau sich reingewaschen hat? Es gibt im Leben eine Art von Schulden, die man/frau nie zurückzahlen kann, die Raubkunst aus Afrika gehört zu dieser Kategorie von Schätzen. Aus dieser Sichtweise stellt sich das reine mechanische Faktum eines Zurückgebens als nicht genugend heraus.

Zurückgeben ist die leichteste Form der Anerkennung. Das wäre zu einfach, als ob auf dem Kontinent und seinen Menschen nichts geschehen würde. Diese Objekte sind nicht vom Himmel gefallen und in Europa gelandet. Nein, sie wurden von Europäern in zahlreichen Expeditionen und Feldzügen geraubt. Menschenleben wurden gewalttätig vernichtet, das Vieh geschlachtet und die Ernten verbrannt. “Nicht einmal Ahnen und Götter wurden ausgespart, sogar Grabstätte wurden geschändet” so der Politologe Achille Mbembe. Tausende Schädel und Berge von menschlichen Gebeine bzw. Überreste sind noch immer in Museen und in Unterkellern von Universitäten, Laboratorien, Krankenhäusern.

In ganz Europa sowie in Österreich gestaltet sich die Restitutionsfrage vielmehr als ein vulgares Zurückgeben. Die Afrikanische Kunst diente vor allem sogenannte europäische Künstler*innen der europäischen Avantgarde als Inspirationsquelle auf der Suche nach einem neuen Humanismus, auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Kurz vor dem 1. und 2. Weltkrieg in der Zwischenkriegszeit und auch nach dem 2. Weltkrieg stand der europäische Humanismus in einer tiefen Krise.

Nachdem die Banalität des Bösen einer ihrer Gipfelpunkte in den KZ-Lagern erreicht hatte, machten sich europamüde Generationen europäischer Maler, Denker und Schriftsteller sehnsüchtig auf der Forschung nach neuen Möglichkeiten der Freiheit und des Menschseins. Und diese neuen vitalisierenden Formen der Freiheit und des Menschseins fanden sie in den afrikanischen Skulpturen und Kunstformen bzw. in der Phänomenologie des afrikanischen Alltags verwirklicht.  Wir können unumwunden behaupten, dass die Künstler*nnen der europäischen Avantgarde nicht nur Anregungen von afrikanischen künstlerischen Formen, Farben, Motiven und Architektur bekommen hatten, sondern die Kunst aus Afrika verhalf, den gesamten europäischen Kontinent sich selbstkritisch von innen zu diagnostizieren und zu heilen. 

Manche hitzigen Debatten im europäischen Parlament über das Thema “Migration aus Afrika” vermitteln manchmal den Eindruck, Europa bricht jetzt an sich selbst zusammen. Dies erinnert an das Buch von Alexander Kluge, die Gegenwart von gestern. Diese Gewalt geht bis heute weiter: Denn Wie viele geflüchtete Afrikaner*innen aus der Ukraine wurden aus Österreich gejagt, weil sie nicht “weiß” waren / Afrikaner sind? Wie viele sterben im Mittelmeer im hoffnungslosen Versuch, “das Eldorado Europa” zu erreichen? Manche dieser MigrantInnen würden gern einen Blick auf diese Artefakte werfen, aber sie bekommen kein Visum dafür. Alltagsrassismus, systematische Diskriminierungen gehören zu dieser Gewalt, die im Zuge der Restitutionsproblematik repariert werden sollte. Fragen drängen sich auf: Ist die selbstkritische und selbstheilende Arbeit abgeschlossen, die die afrikanische Kunst in europäischen Gesellschaften geleistet hat? Wie ist die Stellung von Migrant*innen aus Afrika in Europa bzw. in Österreich? Welche Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation werden denen angeboten? Wie werden die partizipativen Organisationen und Initiativen wahrgenommen, die sie im Sinne einer niveauvollen gesellschaftlichen Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Geschehen auf die Beine bringen? Ist es nicht an der Zeit, angesichts der Komplexität der Restitutionsfrage eben die Organisationen und Initiativen der Afrikanischen Diaspora Österreichs als gleichberechtigte Partner als Teil der Lösung der Komplexität der Restitutionsfrage ins Task Force-Boot zu holen?

1 – General Assembly – Twenty-eighth Session – 2140 th Plenary Meetings, 4. Oktober 1973, Paragraph 176-178

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Herausgeber blackaustria.info

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